Arbeiten mit Fotografien im Geschichtsunterricht Fotografien sind, wie andere bildliche Darstellungen, keine direkten Abbildungen der Wirklichkeit, da immer ein bestimmter Ausschnitt und eine bestimmte Perspektive gewählt werden. Manchmal werden Fotografien nach der Aufnahme noch verändert oder sogar manipuliert, auch die Wahrnehmung der Betrachterinnen und Betrachter ist immer subjektiv. Trotz dieser Tatsachen wird Fotografien oft eine höhere Glaubwürdigkeit zugeschrieben als anderen Quellen und werden sie häufig als Abbildungen der Wirklichkeit aufgefasst. Schritt 3: Die Empfindungen beim Betrachten des Fotos formulieren • Was fühlen Sie beim Anblick des Fotos? • Woran erinnert Sie das Foto? (1) Auf dem Foto ist die Armut der Menschen zu erkennen. Die Familie blickt ernst in die Kamera. Es ist berührend, für mich auch bedrückend und peinlich, so ärmliche Wohnverhältnisse zu betrachten. Die private Wohnsituation, eigentlich etwas Intimes, wird hier ziemlich schonungslos gezeigt. (2) Das Foto erinnert an Aufnahmen aus armen Gegenden dieser Welt, wo Menschen beengt und ohne den für uns „normalen“ Komfort leben. Schritt 4: Vermutungen bzw. Aussagen über die Vergangenheit formulieren • Was könnte das Foto darstellen? • Was erfahren Sie dank des Fotos über die Vergangenheit? (1) Das Foto zeigt gemäß Legende die ärmliche Küche einer siebenköpfigen Familie in der Bartstraße 44 in Berlin. Die Bierflaschen auf dem halbhohen Vorbau lassen vermuten, dass der beinleidende Vater häufig Bier trinkt. (2) Das Foto gibt Einblick in die Situation einer kinderreichen Arbeiter- oder Handwerkerfamilie, deren Leben sich auf engem Raum abspielt. Das Zimmer erfüllt mehrere Funktionen – es ist Aufenthaltsort, Essraum, Arbeits- und Schlafzimmer. Trotz der erkennbar einfachen Verhältnisse ist die Familie nicht völlig verarmt. Darauf verweisen einzelne Details, z. B. die Nähmaschine und die Stores. Schritt 5: Aussagen über die Fotografie selbst formulieren • Welchem Zweck diente wohl die Fotografie? (1) Das Bild sollte die Lebenssituation der Patienten und Patientinnen der Berliner AOK (Allgemeinen Ortskrankenkasse) darstellen. Die Krankenkasse führte solche Untersuchungen von 1901 bis 1920 durch. Den jährlich zusammengestellten Berichten waren insgesamt 175 Fotografien der Firma Heinrich Lichte & Co. beigefügt. Dazu schreibt der Geschäftsführer der Ortskrankenkasse und Herausgeber der Enquete, Albert Kohn: Eine Besserung schlechter Zustände kann nur eintreten, wenn man die bestehenden Missstände aufdeckt, wenn man sie an das Licht des Tages zerrt, damit klar sichtbar wird, wo eingesetzt werden muss, um eine Wendung zum Bessern herbeizuführen. (Wohnungs-Enquete, 1906) Schritt 6: Fragen an das Foto richten • Welche Informationen fehlen Ihnen noch? Was möchten Sie über die Vergangenheit und das Foto zusätzlich wissen? (1) Welche Konsequenzen wurden aus den Fotos und Berichten gezogen? War es den Menschen recht, wenn sie fotografiert wurden? Bestand für die Kinder eine Möglichkeit, die Schule zu besuchen? Ideenquellen: Sauer, Historische Fotografie, Geschichte lernen 91/2003, S. 8 ff. und Argast u. a., Viele Wege, eine Welt, S. 13–17. Anwendung Arbeiten Sie zu zweit. Wenden Sie die hier vorgestellte 6-Schritte-Methode auf eine der Fotografien in Kapitel 4 an. Notieren Sie Ihre Ergebnisse zu jedem Schritt in Stichworten und stellen Sie sie im Plenum vor. 266 Kompetenzen erwerben MUSTER
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