GO! 5/6 + E-Book

231 Drei Schritte für das Arbeiten mit normativen Texten Wir stellen Ihnen hier eine 3-Schritte-Methode zum Erschließen normativer Texte vor. Als Beispieltext verwenden wir den Auszug aus der „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ von 1789 ( S. 229). Den vollständigen Text finden Sie unter: http://www. verfassungen.eu/f/ferklaerung89.htm (Frankreich/Verfassung von 1791/Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte) Schritt 1: Leitfragen festlegen • Welche Schlüsselbegriffe finden sich im Text? • Welches Menschenbild steht hinter der Erklärung? • Wer steht hinter der Staatsgewalt, die die Gesetze erlässt? (1) In diesem Text werden die Freiheitsrechte des Individuums besonders hervorgehoben. Ein zentraler Begriff ist „Freiheit“, der im gesamten Text sieben Mal aufscheint, ein weiterer ist „Gesetz“, der elf Mal genannt wird. Die persönliche Freiheit kann nur durch das vom Volk erlassene Gesetz eingeschränkt werden. Der Schutz vor Willkür ist ein Grundrecht. Schritt 2: Den Text analysieren • Um welche Art von normativer Quelle handelt es sich? • Wer hat sie verfasst? • Um welches Thema geht es? • Welcher Personenkreis ist von den Normen betroffen? • Welche Ziele verfolgt der Text? (1 und 2) Es handelt sich um die „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“, die wenige Monate nach Ausbruch der Französischen Revolution von der Nationalversammlung verabschiedet wurde. Der Dritte Stand hatte sich zur verfassunggebenden Nationalversammlung erklärt ( S. 233). Wichtige Ideengeber waren der Marquis de Lafayette, der Befehlshaber der Nationalgarde, und Thomas Jefferson, der US-amerikanische Botschafter in Paris, der in einer Führungsrolle an der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung mitgearbeitet hatte. (3) In der Nationalversammlung kam es zu einer mehrwöchigen Diskussion darüber, ob der zukünftigen Verfassung grundsätzliche Prinzipien vorangestellt werden sollten. Der Grundsatz, dass „der Ursprung jeder Souveränität […] letztlich in der Nation“ (Art. 3) ruhe, entmachtete den König. Die Macht sollte nun von der Mehrheit des Volkes ausgehen. (4) Die Menschenrechte galten für alle Bürgerinnen und Bürger, nicht jedoch für die Sklavinnen und Sklaven in den Kolonien. (5) Ein Ziel dieses Textes war es, auch Monarchinnen und Monarchen den Gesetzen zu unterstellen und Machtmissbrauch zu verhindern. Schritt 3: Den Text interpretieren • Ist die Erklärung in sich widerspruchsfrei? • Welches Verhältnis besteht zwischen Theorie und Wirklichkeit? • Welche Stärken und Schwächen hat die Erklärung? • Gibt es Unterschiede zu anderen Menschenrechtserklärungen? (1) Einerseits spricht die Erklärung von der Gleichheit der Bürger, andererseits von „sozialen Unterschieden“ und vom „unverletzlichen und heiligen“ Recht auf Eigentum. Damit wird der erste Satz eingeschränkt und zwischen den einzelnen Begriffen besteht ein Spannungsverhältnis. (2) Obwohl die Stände aufgehoben werden sollten, war die französische Gesellschaft immer noch eine Klassengesellschaft, da zwischen „Aktivbürgern“ und „Passivbürgern“ unterschieden wurde. Aktivbürger waren Männer über 25 Jahren, die eine gewisse Steuerleistung erbringen konnten. Passivbürger waren besitzlose Männer, die kein oder ein geringes Steueraufkommen hatten und somit nicht wählen durften. Frauen waren vollkommen vom Wahlrecht ausgeschlossen. Die Mehrheit der Bevölkerung waren Bauern, in der Nationalversammlung hatten sie jedoch nur zwei Vertreter. Außerdem konnten nur gebildete Bürger die staatlichen Beamtenstellen einnehmen. (3) Die „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ von Olympe de Gouges ( S. 242) macht deutlich, dass Artikel 1 der Erklärung Frauen nicht miteinschloss. (4) In der US-amerikanischen Erklärung der Menschenrechte wird z. B. das Streben nach Glück, „pursuit of happyness“, ausdrücklich erwähnt. (Interpretation von Textquellen: S. 128 ff.) Arbeiten mit normativen Texten MUSTER

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjg5NDY1NA==