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227 In dem Städtchen, wo ich wohnte, hatte die goldne Aufklärung schon herrliche Fortschritte gemacht; Es gab da schöne Geister und Deisten [Menschen, die an Gott glauben, aber nicht an eine Religion] und Weltbürger, gelehrte Frauenzimmer, Clubs, Lesegesellschaften, ein Caffehaus, ein Liebhaber-Concert, Mitglieder geheimer Gesellschaften, zuweilen auch sogar Schauspiele, die von herumziehenden Künstlern in einem alten Brauhause aufgeführt wurden. Die Prediger sprachen von Denkfreyheit, die Aerzte von Charlatanerie, die Advocaten von Uneigennützigkeit, der Bürgermeister declamierte über die Rechte der Menschheit, und es trieb ein Buchhändler hier sein Wesen, der Calender für das Landvolk verlegte, und Romane, Journale und Theaterstücke verkaufte. Knigge, Das Zauberschloß, S. 4 f. Zensurverordnung Josephs II. (1781) Kritiken, wenn es nur keine Schmähschriften sind, sie mögen nun treffen, wen sie wollen vom Landesfürsten an bis zum untersten, sind nicht zu verbiethen, besonders wenn der Verfasser seinen Namen dazu drucken lässt und sich also für die Wahrheit der Sache dadurch als Bürge darstellt; für jeden Wahrheit Liebenden muss es eine Freude sein, wenn ihm selbe auch auf diese Art zukommt. Zit. nach: Klueting, Josephinismus, S. 216. Die Aufklärung erforderte die Verbreitung der eigenen Ideen. Kommunikation und Öffentlichkeit waren Grundvoraussetzungen für das Phänomen selbst. Um das Gedankengut der Aufklärung publik zu machen, wurden daher neue Wege des Wissens- und Informationstransfers erschlossen. Es entstand eine bürgerliche Öffentlichkeit. Der deutsche Schriftsteller Adolph Freiherr von Knigge beschrieb in seinem Reiseroman „Das Zauberschloss“ (1791) die Kommunikationsmedien der Aufklärung in einer deutschen Kleinstadt wie folgt: Zeitschriften, Bücher, Enzyklopädien Das 18. Jh. ist gekennzeichnet durch eine „Explosion“ des Buch- und Zeitschriftenmarktes. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation erschienen in der ersten Hälfte des 18. Jhs. zirka 750 Titel pro Jahr, in den 1780er-Jahren waren es bereits an die 5 000 Druckwerke. In groß angelegten, vielbändigen Enzyklopädien – die bedeutendste ist das Werk der französischen Enzyklopädisten Diderot und d’Alembert – wurde das damalige Gesamtwissen alphabetisch geordnet und verlegt. Doch den weitaus größten Einfluss auf den Austausch aufgeklärter Inhalte hatten die vielen neu gegründeten Zeitschriften und Zeitungen. Die Lockerung der Zensurvorschriften und die Senkung der Analphabetenrate waren Wegbereiter für diese neue Form der kritischen schriftlichen Kommunikation. 1.2 Wie die Aufklärung unter die Leut’ kam – die bürgerliche Öffentlichkeit 227.1 Anicet-Charles-Gabriel Lemonnier (1755), Eine Lesung aus dem Werk Voltaires im Salon von Marie-Thérèse Rodet Geoffrin. Voltaires Büste steht in der Mitte. Salons, die oft von Frauen geführt wurden, waren ungezwungene Treffpunkte für Bürgertum und Adel. Man speiste, lauschte musikalischen oder literarischen Vorträgen und diskutierte. Aufklärung – eine Epoche bestimmt Europa neu MUSTER

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