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224 Ideen machen Politik: Aufklärung und Revolutionen … und die Gesellschaft denkt gar nicht daran, aufzuklären (1977) Der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard (1931–1989) in der autobiografischen Erzählung „Die Ursache“ zum Verhältnis von Aufklärung und Gesellschaft: Die Interessen der Gesellschaft sind andere als die Aufklärung, und die Gesellschaft denkt gar nicht daran, aufzuklären, und die Regierungen sind immer und in jedem Falle und in jedem Lande und Staatsgebilde daran interessiert, dass ihre Gesellschaft nicht aufgeklärt wird, denn klärten sie ihre Gesellschaft auf, wären sie schon in kurzer Zeit von dieser von ihnen aufgeklärten Gesellschaft vernichtet, Jahrhunderte ist die Gesellschaft nicht aufgeklärt worden, und es werden viele Jahrhunderte kommen, in welchen die Gesellschaft nicht aufgeklärt werden wird, weil die Aufklärung der Gesellschaft ihre Vernichtung bedeutete. Thomas Bernhard, Die Ursache. Eine Andeutung © 1975 Residenz Verlag GmbH Salzburg – Wien. 1.1 Was ist Aufklärung? 2 Vervollständigen Sie den Satz: „Ein (un-)aufgeklärter Mensch ist jemand, der …“ (HM) 3 Aufgeklärtes Zeitalter oder Zeitalter der Aufklärung? Vergleichen Sie die Positionen von Kant und Bernhard. (HM) 4 Diskutieren Sie: Wo liegen die Grenzen der Aufklärung? Inwieweit haben sich die Ideen der Aufklärung in den letzten 200 Jahren durchgesetzt? (HO) Aufgaben 1 Unmündigkeit – Verstand – Freiheit. Bilden Sie aus diesen drei Wörtern eine Satzkette, die die Ideenwelt Kants widerspiegelt. (HM) Was ist Aufklärung? (1784) Antwort des deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724–1804) in der „Berlinischen Monatsschrift“ Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. […] Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen […], dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es Anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. […] Daß der bei weitem größte Teil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. […] Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen. […] Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? so ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung. Daß die Menschen […] schon imstande wären […], in Religionsdingen sich ihres eigenen Verstandes ohne Leitung eines Anderen sicher und gut zu bedienen, daran fehlt noch sehr viel. Allein daß jetzt ihnen doch das Feld geöffnet wird, sich dahin frei zu bearbeiten, und die Hindernisse der allgemeinen Aufklärung, oder des Ausganges aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit allmählich weniger werden, davon haben wir doch deutliche Anzeigen. In diesem Betracht ist dieses Zeitalter das Zeitalter der Aufklärung. Kant, Was ist Aufklärung?, in: Berlinische Monatsschrift. Dezember-Heft 1784, S. 481–494 (auszugsweise) zit. nach: http://gutenberg.spiegel.de. 224.1 Adolf Neumann, Immanuel Kant, Holzstich nach einem Gemälde (ca. 1775). 1 Aufklärung – eine Epoche bestimmt Europa neu Im 18. Jh. entsteht in Europa die Aufklärung. Der Philosoph Immanuel Kant ist einer der wichtigsten Vertreter dieser Richtung. Er hat einen für die europäische (Geistes-) Geschichte prägenden Text verfasst. MUSTER

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