207 Schritt 2: Die Darstellung interpretieren • Welche Einzelkategorien werden in Beziehung gesetzt? • Lassen sich Entwicklungen feststellen? • Gibt es langfristige Zu- oder Abnahmen, Zahlensprünge, Hoch- oder Tiefpunkte? • Wodurch könnten diese Entwicklungen ausgelöst worden sein? Formulieren Sie Vermutungen. • Was soll mit der Statistik gezeigt werden? (1) Die Jahrzehnte seit 1870 werden mit der Anzahl der Kinder pro Frau in Beziehung gesetzt. (1 und 2) Nach dem kontinuierlichen Rückgang der Geburtenzahl ab Beginn des 20. Jhs. gab es einen Anstieg nach dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland (1940 2,54 Kinder pro Frau) und während der späten 1950er- und frühen 1960er-Jahre. (3) Nach dem „Baby-Boom“ ging die Gesamtfertilität zunächst sehr rasch zurück, von 2,82 Kinder pro Frau im Jahr 1963 auf 1,60 Kinder pro Frau im Jahr 1978. (4 und 5) Eine Hypothese könnte lauten, dass sich die Bedeutung von Familie und Kindern in den dargestellten 130 Jahren stark geändert hat. Eine andere Hypothese wäre, dass die Wandlung Österreichs von einem agrarisch geprägten Land zu einer Dienstleistungsgesellschaft diesen Rückgang der Geburten auslöste. Auch die Entwicklung der Anti-Baby-Pille wird eine Rolle gespielt haben. Drei Schritte für das Arbeiten mit historischen Statistiken Schritt 3: Anschlussfragen • Welche weiteren Fragen ergeben sich aus dem Studium der Statistik? • Klären Sie Ihre Hypothesen mithilfe anderer Quellen oder Materialien. • Wie zuverlässig ist die Statistik? • Gibt es vollständige Quellenangaben? Stammen die Zahlen von einer Interessensgruppe? (1) Fragen in Bezug auf die Stellung von Kindern in der Familie tauchen auf. (2) Zusätzliche Quellen und Materialien müssen herangezogen werden, um weitere Fragen zu beantworten. Wie hat sich im Zuge der gesellschaftlichen Umwälzungen und der Modernisierung des späten 19. und des 20. Jhs. in Europa die Bedeutung von Kindern verändert? Viele Kinder in die Welt zu setzen, von denen kaum die Hälfte das Erwachsenenalter erreichte, war für Frauen nicht mehr länger der Normalfall. Gleichzeitig wurde das Sterben von Säuglingen, Kindern und Jugendlichen ebenso zur Ausnahme wie das Sterben von Müttern aufgrund von Geburtskomplikationen oder im Kindbett. So lag die Säuglingssterblichkeit um die Wende vom 19. zum 20. Jh. bei über 200 von 1 000 Neugeborenen. Heute versterben in Österreich innerhalb des ersten Lebensjahres weniger als fünf von 1 000 Neugeborenen. (3 und 4) Da die Statistik einer Veröffentlichung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften entnommen ist, kann ihre Vertrauenswürdigkeit als hoch eingeschätzt werden. Die Zahlen stammen von keiner Interessensgruppe. 207.1 Durchschnittliche Kinderzahl pro Frau (Periodenfertilität) in Österreich, 1880–1998. Zit. nach: Tazi-Preve u. a., Bevölkerung in Österreich, S. 15. Schritt 1: Zahlenmaterial erfassen • Welchen Titel hat die Statistik? • Um welche Darstellungsform handelt es sich, z. B. um Zahlentabellen, Säulen-, Kreis- oder Liniendiagramme? • Welche Maßeinheiten werden verwendet? • Handelt es sich um absolute oder relative Zahlen? • Auf welche Fragen gibt die Statistik eine Antwort? • Auf welches Oberthema, welchen Zeitrahmen und welchen geografischen Raum bezieht sich die Statistik? (1) Titel: Durchschnittliche Kinderzahl pro Frau (Periodenfertilität) in Österreich 1880 bis 1998. (2) Liniendiagramm; in diesem Diagramm wird die Kinderzahl pro Frau in Österreich vom Jahr 1880 bis ins Jahr 1998 dargestellt. (3 und 4) Es handelt sich um absolute Zahlen. Jahrzehnte und Kinderzahl finden sich auf den Tabellenachsen. (5) Zwischen der Jahrhundertwende und dem Jahr 1928 halbierte sich die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau (Gesamtfertilitätsrate) von vier auf zwei Kinder, Mitte der 1930erJahre lag die Fertilität (Fruchtbarkeit) bereits bei rund 1,5 Kindern. (5 und 6) Die Statistik gibt Antwort auf die Frage nach der Kinderzahl pro Frau während der letzten 150 Jahre in Österreich zur Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie, während der Ersten Republik, des Ständestaates, der NS-Diktatur und der Zweiten Republik. Arbeiten mit historischen Statistiken Gesamtfertilitätsrate (Kinder pro Frau) 4,5 4,0 3,5 3,0 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0 Jahr 1880 1900 1920 1940 1960 1980 2000 1890 1910 1930 1950 1970 1990 1. Weltkrieg MUSTER
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