202 Ordnung und Zugriff: der moderne Staat Seit der Eroberung Konstantinopels 1453 galten die Türken in Europa als barbarisches Kriegsvolk und Erbfeinde der Christen. Dieses Negativbild war vor allem in den von Osmaneneinfällen unmittelbar bedrohten Gebieten verbreitet. In zahlreichen Flugblättern und antitürkischen Streitschriften wurden Gräueltaten der Türken auf drastische Weise dargestellt. Daneben gab es aber auch Stimmen der Bewunderung. Der Humanist Guillaume Postel (1510–1581) etwa äußerte sich begeistert über das Osmanische Reich. Besonders beeindruckt war er von dem vorbildlich organisierten türkischen Heer mit der Elitetruppe der Janitscharen, von der religiösen Toleranz gegenüber den nichtmuslimischen Untertanen und der gesellschaftlichen Struktur, die keinen Geburtsadel kannte, sodass Tüchtigkeit und Leistung Aufstiegsmöglichkeiten eröffneten. „Türkomania“ im Europa des 18. Jhs. Mit der Normalisierung der Beziehungen zum Osmanischen Reich erfasste ganz Europa eine Welle der schwärmerischen Begeisterung für die orientalische Kultur. Die Damen des Hofadels und Maria Theresia selbst ließen sich in türkischer Tracht porträtieren, Porzellan wurde mit türkischen Motiven verziert und ganze Räume als türkische Salons eingerichtet. Die Übersetzung der morgenländischen Erzählsammlung „Tausendundeine Nacht“ wurde zum Bestseller. Begeisterung für die türkische Kultur Der lebenslustige Kurfürst August der Starke von Sachsen sammelte in seiner „Türckischen Cammer“ rund 800 exotische Waffen, Zelte, Reitzeuge, Fahnen und Gewänder, die als diplomatische Geschenke, Ankäufe oder Beutestücke aus Schlachten gegen die Osmanen zusammengetragen worden waren. Er hatte – nach dem Vorbild der osmanischen Elitetruppen – eine eigene Janitscharengarde. Mit seiner türkischen Mätresse (Geliebte) Fatima, mit der er zwei Kinder hatte, feierte er orientalische Feste und bei Feierlichkeiten trat er gern als Sultan auf. Bei der Vermählung seines Sohnes 1719 ließ er ein türkisches Serail (Palast) als Wachsfigurenkabinett mit Harem, Würdenträgern und Eunuchen nachbilden, durch das es Führungen gab wie heute in „Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett“. Fragen & Aufgaben 1 Analysieren Sie den Holzschnitt aus der „Turckischen Chronica“. Was wird dargestellt? Welchen Wahrheitsgehalt vermuten Sie hinter der Darstellung? Welche Motive könnten dem Bild zugrunde liegen? (HM) 2 Lesen Sie die Handlung von Mozarts Oper „Die Entführung aus dem Serail“. Diese ist als Aussage darüber interpretierbar, wie sich „Osten“ und „Westen“ begegnen sollten. Erklären Sie, welche Antwort die Oper gibt. (HF, HM) 3 Machen Sie eine Panoramatour durch die „Türkische Cammer“ in Dresden und erklären Sie an einem Ausstellungsstück die Faszination für die orientalische Kultur. (HM) Linktipp: https://ruestkammer.skd.museum/ausstellungen/ tuerckische-cammer/ 4 Faszination Fremde versus Angst gegenüber Fremdem. Diskutieren Sie diesen Gegensatz anhand aktueller Beispiele. 3.2 Das Bild der Osmanen zwischen Furcht und Faszination 202.1 Gewaltsame Verschleppung von Christen in die Sklaverei durch türkische Soldaten, Radierung 1603. 202.2 Johann Peter Melchior (Modelleur), Türkischer Sultan und türkische Dame, Höchster Porzellan (um 1770). MUSTER
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