141 Der lange Weg zur Familienrechtsreform In Österreich erklärten die Bestimmungen des ABGB von 1811 den Mann zum Oberhaupt der Familie. Von ihm leitete sich der Familienname ab. Die Frau und die Kinder waren ihm unterstellt. Der Mann bestimmte den Wohnsitz der anderen Familienmitglieder. Er legte die Erziehungsziele und die Berufswahl der ihm zu Gehorsam verpflichteten Kinder fest und entschied darüber, ob die Frau einem Beruf nachgehen durfte. Er musste für seine Familie sorgen und einen „anständigen“ Unterhalt leisten. Die Frau war ihm dafür zum Beistand verpflichtet. Sie hatte sich vorrangig um Haushalt und Kinder zu kümmern und war über den häuslichen Wirkungsbereich hinaus nicht geschäftsfähig. Zur Unterzeichnung von Arbeitsverträgen etwa benötigte sie die Zustimmung des Ehemannes. „In einer Gesellschaft, die sich“ – so die Historikerin Ingrid Bauer – „prinzipiell über Verträge konstituiert, bedeutete das eine weitgehende Beschneidung der sozialen Existenz.“ Rechtliche Gleichstellung der Frauen Schon Anfang des 20. Jhs. brachten die sozialdemokratischen Abgeordneten Adelheid Popp und Gabriele Proft im Parlament einen Antrag ein, das Familienrecht im Sinne einer Gleichstellung von Frauen und Männern zu reformieren. Sie hatten jedoch keinen Erfolg, ihr Antrag wurde nicht behandelt. Erst 1949 wurde wieder versucht, etwas gegen die Benachteiligung der Frauen zu unternehmen. Der sozialistische Justizminister Otto Tschadek setzte damals eine Kommission ein, die bis 1951 „Richtlinien für eine gesetzliche Neuorientierung des Familienrechtes“ erarbeitete. Im Parlament kam es jedoch zu keiner Einigung über die Umsetzung der Vorschläge. Anfang der 1970er-Jahre hatten sich das gesellschaftliche und politische Klima in Österreich so verändert, dass zwischen den Parteien weitgehende Übereinstimmung bezüglich der Richtlinien der Familienrechtskommission erreicht wurde. Ab diesem Zeitpunkt wurde schrittweise eine Erneuerung des Familienrechts durchgeführt. Als Erstes stellte man 1970 uneheliche und eheliche Kinder rechtlich gleich. 1976 wurde das „Gesetz über die persönlichen Rechtswirkungen der Ehe“, der wichtigste Teil der Reform, beschlossen. Darin wird festgelegt, dass Mann und Frau in der Ehe gleiche Rechte und gleiche Pflichten haben. Mit der „Kleinen Scheidungsreform“ von 1978 wurden die „einverständliche Scheidung“ und die Möglichkeit zur Scheidung gegen den Willen des Ehepartners bzw. der Ehepartnerin eingeführt. Damit war die Familienrechtsreform abgeschlossen. Seit 2010 gibt es für homosexuelle Paare die Möglichkeit einer eingetragenen Partnerschaft, die Adoption von Kindern ist für diese Paare seit 2016 möglich. 2019 wurde auch die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in Österreich ermöglicht. Nach: Flossmann, Österreichische Privatrechtsgeschichte und Zach, Geschichte des österreichischen Staatssekretariates für allgemeine Frauenfragen. Abrufbar unter: www.renner-institut. at (Materialien/Frauen machen Geschichte/Frauen in der Sozialdemokratie) (März 2017). Wenn Sie diesen Abschnitt bearbeitet haben, … können Sie erklären, warum das Recht notwendig ist, um das menschliche Zusammenleben zu ordnen. sind Sie sich bewusst, dass sich nicht alle Konflikte allein mit Hausverstand lösen lassen. erkennen Sie, dass Recht und Gesetze sich ständig wandeln und von den gesellschaftlichen Umständen abhängig sind. wissen Sie, dass die Heirat in den vergangenen Jahrtausenden oft nur ein Rechtsgeschäft war und wenig mit Liebe zu tun hatte. Die Ehe verband nicht Partnerin und Partner, sondern zwei Familien. wissen Sie, dass im Alten Orient, in der Antike und im Mittelalter die Frau kein Mitspracherecht bei Eheschließungen hatte. wissen Sie, dass die Ehe erst im Mittelalter zu einem kirchlichen Sakrament wurde und dass daher die Scheidung kaum mehr möglich war. wissen Sie, dass die Ehe jahrtausendelang den Zweck hatte, legitime Nachkommen zu zeugen und den Besitz geregelt weiterzugeben. wissen Sie, dass es im 19. und 20. Jh. zur Trennung zwischen kirchlicher und staatlicher Ehe kommt und die staatliche Ehe auch mehrfach geschieden werden kann. Längsschnitt: Recht am Beispiel von Ehe und Scheidung MUSTER
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