Herodot, „Verfassungsdebatte“ […] sprach sich dafür aus, die Herrschaft an das ganze Volk zu geben. Er sagte: Ich bin dafür, dass nicht wieder ein einziger über uns König werden soll. Das ist weder erfreulich noch gut. […] Wie kann die Alleinherrschaft etwas Rechtes sein, da ihr gestattet ist, ohne Verantwortung zu tun, was sie will. Auch wenn man den Edelsten zu dieser Stellung erhebt, wird er seiner früheren Gesinnung untreu werden. Das Gute, das er genießt, erzeugt Überheblichkeit, und Neid ist dem Menschen schon angeboren. Wer aber diese zwei hat, hat alle Schlechtigkeit beisammen. […] Freilich sollte er ohne Missgunst sein, denn ihm als Herrscher gehört ja alles. Doch das Gegenteil davon ist der Fall. Er missgönnt den Edelsten Leben und Luft, er freut sich der Elendsten. Trefflich weiß er den Verleumdungen sein Ohr zu leihen. Am sonderbarsten von allem ist, dass er sich über maßvolle Anerkennung ärgert, weil man nicht ehrerbietig genug sei, und sich über hohe Ehrerbietung ärgert, weil man ein Schmeichler sei. Und damit ist das Schlimmste noch nicht gesagt: Er rührt an die alten, überlieferten Ordnungen, er vergewaltigt die Weiber, er mordet ohne rechtlich zu verurteilen. Die Herrschaft des Volkes aber hat vor allem schon durch ihren Namen – Gleichberechtigung aller – den Vorzug; Versuchen Sie, den Text Herodots mithilfe der 5-Schritte-Methode zu bearbeiten. zweitens aber tut sie nichts von all dem, was ein Alleinherrscher tut. Sie bestimmt die Regierung durchs Los, und diese Regierung ist verantwortlich; alle Beschlüsse werden vor die Volksversammlung gebracht. So meine ich denn, dass wir die Alleinherrschaft abschaffen und das Volk zum Herrscher machen; denn auf der Masse beruht der ganze Staat. Megabyzos riet zur Adelsherrschaft und sagte: Was Otanes über die Abschaffung des Königtums sagt, ist auch meine Meinung. Wenn er aber rät, die Menge zum Herrn zu machen, so hat er damit nicht das Rechte und Beste getroffen. Es gibt nichts Unverständigeres und Hochmütigeres als die blinde Masse. Wie unerträglich, dass wir die Selbstüberhebung der Tyrannen mit der Selbstüberhebung des zügellosen Volkes vertauschen sollen! Jener weiß doch wenigstens, was er tut; aber das Volk weiß es nicht. Woher sollte dem Volke Vernunft kommen? Es hat nichts gelernt und hat auch in sich selber keine Vernunft. Ohne Sinn und Verstand, wie ein Strom im Frühling, stürzt es sich auf die Staatenlenkung. […] Wir sollten vielmehr einem Ausschuss von Männern des höchsten Adels die Regierung übertragen. Zu diesen Männern gehören wir ja selber. Es ist doch klar, dass von den Adeligsten auch die edelsten Entschlüsse ausgehen. Herodot III, 80–82 (Verfassungsdebatte). Anwendung 130.1 Herodot, Porträtbüste (römische Kopie eines griechischen Originals des 4. Jhs. v. Chr.). Der griechische Schriftsteller Herodot (5. Jh. v. Chr.) will seine Leser und Leserinnen zum Nachdenken über die Staatsformen anregen. Dazu erfindet er ein Gespräch zwischen je einem Anhänger der Demokratie, der Adelsherrschaft und der Alleinherrschaft. Der Hintergrund dieses Gesprächs ist der persische Hof um ungefähr 620 v. Chr. Zwar diskutieren persische Adelige (Otanes, Megabyzoz und Dareios), aber es geht um politische Ideen, die in Griechenland zur Zeit des Herodot aktuell waren. Mit Textquellen arbeiten Texte liefern uns Informationen. Wir verwenden Texte in der Schule, beruflich und privat. Alte Texte (Tagebücher, Briefe, Urkunden etc.) enthalten immer auch Informationen über die Vergangenheit. Beim Lesen und Interpretieren historischer Textquellen müssen wir mitbedenken, dass Texte immer aus einer bestimmten Sichtweise und oft auch mit einer bestimmten Absicht geschrieben werden. 130 Kompetenzen erwerben MUSTER
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