116 Migration und Expansion 2.3 Ostarrîchi – das „Land im Osten“ Kaiser Otto III. musste nur einen Strich anbringen, um seine Zustimmung zum Inhalt des Schriftstücks auszudrücken. Diese „Unterschrift“ befindet sich am Monogramm im unteren Drittel der Urkunde. Otto III. war – im Gegensatz zu vielen seiner Amtskollegen – gebildet und konnte schreiben und lesen. Der Text ist in Latein geschrieben, erst ab dem 13. Jh. verwendete man in Urkunden allmählich auch die Volkssprache. Verschenktes Land im „Wilden Osten“ Für den Empfänger der Urkunde war es sicher wichtiger zu erfahren, was er geschenkt bekam, als die vage Ortsbezeichnung „Ostarrîchi“. Er erhielt eine Siedlung und dazu dreißig Huben oder Hufen (Grundstücke), die erst zu kultivieren waren. Eine Hube ernährte eine Familie. In ganz Mitteleuropa ging man damals daran, ungenützten Boden zu bewirtschaften. Wie Jahrhunderte später in Amerika wurde Land besiedelt und in Besitz genommen. So bekam auch die bischöfliche Kirche in Freising Brachland vom Kaiser geschenkt. 955 waren die Ungarn in der Schlacht am Lechfeld von Ottos Großvater besiegt worden ( S. 74). Die nun wieder sicheren Gebiete östlich der Enns boten sich für Schenkungen an die Kirche an. Als Gegenleistung wurde für den Kaiser und seine Familie gebetet, der Bischof fungierte auch als Berater am Hof und – besonders wichtig – er stellte Truppen zur Verfügung und führte diese auch an. Der Kaiser belohnte kirchliche Würdenträger mit Grund und Boden, der wichtigsten Quelle für Einkünfte in der damaligen Zeit. Ostarrîchi – eine Begriffserklärung „Ostarrîchi“ ist nicht mit der Babenbergermark gleichzusetzen, sondern lag innerhalb der Grenzen dieser Mark. Das althochdeutsche Wort besteht aus zwei Teilen: „ostar“ bedeutet „östlich“, „im Osten befindlich“, „nach Osten hin“, und „rîchi“ kann man als „Herrschaft“, „Macht“, „Reich“ „Land“ und „Gegend“ wiedergeben. Ab dem 12. Jh. wurde auch die Bezeichnung „Austria“ verwendet. Aus diesen beiden Wurzeln entwickelten sich die Namen für Österreich. Erste Erwähnung von „Ostarrîchi“ […] All unsere eifrigen Getreuen, gegenwärtige und auch künftige, mögen wissen, daß wir, den würdigen Bitten unseres geliebtesten Vetters Heinrich, des Herzogs der Bayern, Folge leistend, gewisse Besitzungen unseres Rechtsanspruches in der Gegend, die in der Volkssprache Ostarrîchi heißt, in der Mark und Grafschaft des Grafen Heinrich, […] in dem Ort, der Niuuanhova [Neuhofen an der Ybbs] genannt wird, das heißt eben diesen Hof und 30 in seiner unmittelbaren Umgebung liegende königliche Hufen [ca. 1000 ha.] mit bebauten und unbebauten Ländereien, mit Wiesen, Weiden, Wäldern, Gebäuden, Gewässern, Wasserläufen, mit Jagden, Bienenweiden, Fischwässern und Mühlen, mit beweglichen und unbeweglichen Gütern, mit Wegen und unwegsamem Gebiet, mit geforderten und zu fordernden Einkünften und Erträgen und mit allem, was nach Recht und Gesetz zu diesen Hufen gehört, dem Schoße der Freisinger Kirche, der jetzt unser getreuer Gottschalk, der ehrwürdige Bischof vorsteht, […] zu eigenem und ewigen Gebrauch überlassen und durch unsere kaiserliche Macht fest übergeben haben, […] wwwg.uni-klu.ac.at/spw/oenf/name2.htm (Juli 2013). 116.1 Ostarrîchi-Urkunde (996). 996 schenkte der 16-jährige Kaiser Otto III. dem Kloster Freising das Gut Neuhofen an der Ybbs. Diese Schenkung wurde in einer Urkunde festgehalten. Das Pergament mit den Maßen 47 x 56 cm weist rechts unten ein Loch auf, hier war das Siegel angebracht. In die Lücke wurde weiches Wachs und darauf auf der Vorderseite der Siegelstempel, das Typar, gepresst. Aufgaben 1 Stellen Sie fest, welche Rechte das Kloster Freising mit der Schenkung von „Ostarrichi“ erhielt. Lesen Sie dazu die Textquelle und ermitteln Sie, was unter den Einkünften und Erträgen der „Hufen“ gemeint ist. Informieren Sie sich zuvor über die Grundherrschaft auf S. 105. (HM) 2 Arbeiten Sie heraus, warum die Herrscher den Klöstern Grund und Boden überlassen. (HM) MUSTER
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