105 1.2 Zum Bleiben verurteilt – das System der Grundherrschaft Während des gesamten Mittelalters war das heutige Österreich ein Land der Bauern. Die städtische Entwicklung setzte erst wesentlich später ein als im Westen des Reiches oder in Italien, und mit Ausnahme von Wien blieben die Städte so klein, dass die Mehrheit der Bevölkerung weiterhin in ländlichen Gebieten lebte und in der Landwirtschaft arbeitete. Grundherrschaft Die Grundlagen des mittelalterlichen Gesellschaftssystems bildeten Grundherrschaft (Herrschaft über das Land und die darauf lebenden Menschen) und Lehenswesen, die sich aus spätantiken und germanischen Elementen entwickelt hatten. Der Grundherr überließ einen Teil seines Landes den Bauern, die es selbstständig nutzen konnten. Dafür hatten sie Abgaben und Frondienste (festgelegtes Ausmaß an unbezahlter Arbeit, z. B. Bodenbestellung) zu leisten. Die ertragreichsten Böden bewirtschaftete der Herr vom zentral gelegenen Herrenhof aus selbst. Eine große Zahl Höriger (Unfreier) bearbeitete sein Land. So entstand der Fronhofverband. Der Grundherr übte außerdem die niedere Gerichtsbarkeit über die Bauern seiner Grundherrschaft aus. Auch freie Bauern gerieten immer mehr in Abhängigkeit; nur in Teilen Vorarlbergs und in Tirol konnten sie ihre Unabhängigkeit bewahren. Die Rechtlosigkeit der Unfreien Alle Unfreien, die auf dem Hof und den Gütern eines Grundherrn lebten, gehörten zu seiner „familia“. Sie wurden wie Gegenstände verkauft, denn sie gehörten dem Herrn mit „Leib und Gut“, und sie waren „an die Scholle gebunden“, d. h., sie durften die Grundherrschaft nicht verlassen. Eine Ehe konnten sie nur mit Zustimmung des Herrn eingehen. Wurde das Land verkauft, konnten sie sogar von Frau und Kindern getrennt werden. Bei Gericht durften sie nicht als Zeugen und Zeuginnen auftreten, sondern wurden von ihrem Herrn vertreten. Dieser konnte sie prügeln, blenden das Augenlicht nehmen, sie blind machen] oder ihnen die Hände abschlagen. Noch 1212 hieß es im Ennser Stadtrecht: Wenn jemand seinen Knecht oder seine Magd derart schlägt, dass sie bluten, braucht er dem Richter dafür nicht Rechenschaft abzulegen (Zit. nach: Domandl, Kulturgeschichte Österreichs). Fron und Abgaben Im Laufe des 12. Jhs. löste sich die Fronhofsordnung auf, in verschiedenen Gegenden des römisch-deutschen Reiches bildeten sich unterschiedliche Formen der Bewirtschaftung des Bodens heraus. Im Westen und Süden des Reiches, auch im Gebiet des heutigen Österreich, gaben viele Grundherren das Land gegen Geldzinse und Abgaben an die Bauern weiter, die nun auch erbliche Besitzer der Höfe werden konnten. Die Gegenleistungen der Bauern bestanden zunächst aus Naturalabgaben, hauptsächlich aus Getreide. Die Feldfrüchte wurden häufig zu Michaeli, also am 29. September, abgeliefert. Eine weitere Abgabe, zu der Unfreie verpflichtet waren, war das „Besthaupt“: Starb ein Bauer, hatte seine Familie das beste Vieh aus dem Stall dem Herrn zu geben, starb seine Frau, so war ihr bestes Gewand abzuliefern. Die Inhaber kleiner Höfe und Dorfbewohner ohne Land waren auf Tätigkeiten als Tagelöhner, Knechte oder Handwerker angewiesen. Sie waren dem Herrn als „Leibeigene“ verpflichtet. 105.1 Lehenswesen und Grundherrschaft. Bleiben oder gehen? König vergibt für Dienste und Treue Ämter (mit Land und Leuten) oder Land mit Leuten an Hohe Adelige (Kronvasallen) Ritter und Ministeriale (Untervasallen) Vasall Bauern diese vergeben für Dienst und Treue Land mit Leuten an leisten Kriegsdienst als Reiter leisten Amts- und Kriegsdienste bewirtschaften einen Teil des Landes selbst (Eigenwirtschaft mit leibeigenem Gesinde) sind verpflichtet zu Abgaben und Diensten vergibt Land (Hufen) an hörige Bauern als Grundherr, Leibherr, Gerichtsherr MUSTER
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